Marquardt`s Flintseite
Inuit Pressure Flaker / Druckstab

Von den Inuit beidseitig der Beringstraße werden aus archäologischem (z.B. Leskov u. Müller-Beck 1993: Kat.-Nr. 245, 246, S. 150) und subrezenten Zusammenhängen (z.B. Nelson 1899: S. 91 oder Vanstone 1980: Pl. 18, L,M) interessante Steinbearbeitungswerkzeuge beschrieben, die aufgrund ihrer gebogenen Form nach meiner Kenntnis einzigartig sind. Kennzeichnend ist eine dreiteilige Ausführung bestehend aus einem mehr oder weniger gebogenen Griff mit einem abgeflachten spatelförmigen Ende. Am gegenüberliegendem Ende findet sich eine Nut zur Aufnahme der auswechselbaren beinernen Retuscheurspitze. Diese kann aus Rengeweih, Knochen oder Elfenbein bestehen. Das Material des weniger als 20cm langen Griffes besteht aus Elfenbein, Rengeweih oder Holz. Schließlich ist noch Bindematerial aus Sehnen oder Haut erforderlich, mit dem die Retoucheurspitze am Griff fixiert wird. 

Zwei ethnohistorische Beschreibungen habe ich gefunden:

Admiral E. Belcher über die „Western Eskimo at and north of Icy Cape“ in den Transactions of the American Ethnological Society, new series 1, Pt. 2, 1861, S. 138:

Selecting a log of wood in which a spoon-shaped cavity was cut, they placed the splinter to be worked over it, and by pressing gently along the margin vertically, first on one side and then on the other, as one would set a saw, they splintered off alternate fragments until the object thus properly outlined presented the spear or arrowhead form, with two cutting serrated edges. But let us revert to this instrument for the use … . First the instrument has a graceful outline. The handle is of fine fossil ivory. That would be too soft to deal with the flint or chert in the manner required. But they discovered that the point of the deer horn is harder and also more stubborn; therefore, in a slit, like lead in our pencils, they introduced a slip of this substance and secured it by a strong thong, put on wet, but which on drying became very ridgid. … It is the point of the deer horn which, refusing to yield, drives off the fine conchoidal splinters from the chert.“

(zitiert nach Wilson 1899, S. 986)

J. Murdoch (1892, S. 287-288) über die Point Barrow Inuit in Alaska: 

"The flint to be flaked is held in the left hand and pressed against the fleshy part of the palm which serves as a cushion and is protected by wearing a thick deer-skin mitten. The tool is firmly grasped well forward in the right hand with the thumb on top of the blade and by pressing the point steadily on the edge of the flint, flakes of the desired size are made to fly-off from the under surface."  (Mit "blade" ist der Spitzen-Einsatz des Druckstabes gemeint.)

 Ich habe aus Rengeweih (Griff), Knochen (Retuscheurspitze) und Leder (Bindung) einen vergleichbaren 19cm langen "Pressure Flaker" hergestellt und auf verschiedene Weisen ausprobiert. 

Inuit pressure flaker made somehow similar to originals:

 Die Abbildung im Buch (aus Wilson 1899, S. 881) ist nicht maßstabsgerecht.

Nach meinen persönlichen Erfahrungen läßt sich dieser Pressure Flaker mit sehr guten Ergebnissen verwenden. Als Beispiel sei hier die flächendeckende Druckretusche an Klingen genannt. Um die konkaven Oberflächen der Dorsalgrate zu überwinden, muss nach meinen Erfahrungen zunächst eine Platformpräparation auf der Ventralseite der Klinge erfolgen. Danach muss mit massivem Krafteinsatz ein Abspliss erfolgen, der den Dorsalgrat entfernt. Trotz der abweichend zu vielen heute genutzten Druckstäben recht geringen Länge ermöglicht dieser kurze Stab eine gute Kraftübertragung.

Releasing pressure-flakes on dorsal faces of flake blades of rough raw material with ridges and concave surfaces needs platform preparation on the ventral face and a bit more force than small random pressure flakes on bifacial preforms.

 Dies gelang trotz des relativ rauhen Rohmaterials (Bergerac-Silex) recht gut. Das abgewinkelte flache Ende des Pressure Flakers drücke ich bei angespannten Bauchmuskeln gegen den Bauch, der Flaker wird mit dem Daumen zur Spitze reichend gefasst und mit dem Arm gegen die zu bearbeitende Werkstückkante gedrückt. Zusätzlich wird das zu bearbeitende Werkstück in der linken Hand gegen die Innenseite des linken Beins gehalten. Durch zusätzlichen Druck mit dem linken Bein lässt sich der Druck verstärken. Ich habe den Eindruck, das so optimal Hebelwirkungen der Arme, des linken Beins bei gleichzeitigem Widerlager durch den angespannten Bauch möglich sind. 

Using the "paddle"-shaped end of the flaker handle resting against the belly as a support, a quite high ammount of force can be built up by the left leg and both arms. Instead of a wooden slotted piece as described by Belcher, I use a folded leather pad with the same effect, the flake to be shouldn`t have contact with the pad for an uninterrupted release.

 

 

Andere Möglichkeiten zur Ausnutzung des spatelförmigen Endes könnten folgende sein:

Other possibilities of using this type of flaker might be:

Diese Variante zur Ausnutzung der Hebelwirkung des rechten Knies scheint möglich, ich habe damit jedoch große Schwierigkeiten, ähnlich hohen Druck wie bei der darüber abgebildeten "Belly-Rest" -Variante auszuüben.

With this way using the inner side of the right knee I had considerable difficulties achieving the same ammount of force.


Diese Variante habe ich auch mit gutem Erfolg für kleinere Absplisse und die abschließende Kantenfeinbearbeitung genutzt. Dabei wird zunächst Druck aus dem Handgelenk in Richtung der Retuscheurspitze aufgebaut und Schließlich durch Drehen des Handgelenkes der Abspliss abgelöst. Auf eine ähnliche Weise könnte die von Belcher beschriebene Nutzung ausgeführt worden sein, vielleicht mit dem Werkstück auf dem Holz am Boden liegend.

This way of holding the flaker worked well for smaller flakes and correcting the outline of the worked piece. Perhaps  Belcher saw a similar use, maybe with the stone resting on the wooden piece on the ground.


 Eine kleine Messerklinge mit zwar unregelmäßigen, aber flächendeckenden Druckretuschen, wie sie ähnlich von den Inuit genutzt wurden.

A small bifacial knife blade with irregular but surface-covering pressure flake scars.

Literatur:

Leskov, A.M. u. Müller-Beck, H. (Hrsg.): Arktische Waljäger vor 3000 Jahren. 1993.

Murdoch, J. (1892): Ethnological results of the Point Barrow Expedition. In: Ninth Annual Report of the Bureau of Ethnology to the Secretary of the Smithonian Institution 1878-1888, p.19-450.

Nelson, E.W.: The Eskimo about Bering Strait. Eigthteenth Annual Report of the Bureau of American Ethnology, 1896-97, Part 1. 1899.

Vanstone, J.W.: The Bruce Collection of Eskimo Material Culture from Kotzebue Sound, Alaska. Fieldiana Anthropology N.S. No. 1. 1980.

Wilson, T.: Arrowheads, Spearheads, and Knives of Prehistoric Times. Annual Report of the Board of Regents of  the Smithonian Institution for the Year 1897. 1899.

ML 26.09.2010




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